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Experten im Gespräch: Interview mit Dr. Sven Orlowski, Geschäftsführer EWE Trading

Digitalisierung im Energiehandel

Dr. Sven Orlowski, Geschäftsführer EWE Trading GmbH
Foto: Robert Godwin

Dr. Sven Orlowski ist Allein-Geschäftsführer der EWE Trading GmbH in Oldenburg. In seiner Funktion hat er seit 2017 die Digitalisierung des Handels maßgeblich vorangetrieben.

CE: Was verstehen Sie unter Digitalisierung?
Gute Frage – den Begriff versteht ja jeder anders. Für mich aber bedeutet Digitalisierung letztendlich die konsequente und durchgängige Anwendung von IT zur Generierung neuer Geschäftsmodelle, Effizienzsteigerung von Prozessen und – vielleicht am wichtigsten – zur Findung guter Entscheidungen auf Basis von häufig großen Mengen von Daten.

CE: Welche Relevanz hat die Digitalisierung für den Energiehandel?
Die Bedeutung von Systemen und Modellen ist im Energiehandel schon immer sehr groß. Aber auch hier gibt es immer noch viele manuelle Prozesse und insbesondere häufig historisch gewachsene, wenig integrierte IT-Landschaften, die aufgrund des immer stärkeren Kostendrucks durchgängig optimiert werden müssen. Für den Handel selber hat natürlich das schnelle und kostengünstige Verfügbarmachen von Informationen höchste Priorität: Dabei geht es nicht nur um komplexe Modelle oder Algos, häufig ist auch eine clevere und schnelle Visualisierung schon äußerst hilfreich.

CE: Inwiefern verändert sich dadurch auch das Berufsbild des Traders? Welche Berufsbilder verändern sich noch?
In nicht liquiden Märkten wird sich das Bild des Händlers oder Originators vermutlich nur mittelfristig verändern. In liquideren Märkten oder Märkten mit hoher Informationsdichte sehen wir aber schon jetzt eine Veränderung: Im komplexen und sehr wetterabhängigen Stromkurzfristmarkt spielen Algos schon jetzt eine große Rolle. Wir werden uns langsam der Finanzbranche annähern, analytisch-mathematisches Verständnis und die Fähigkeit zu programmieren wird an den Handelsdesks immer bedeutender werden.Das gilt im Grunde auch für andere Teile der Handelsorganisation – man sollte hier schon mindestens in der Lage sein, grundlegende Datenmodelle zu verstehen und komplexere Applikationen für die Abbildung von Prozessen oder zur Auswertung von Daten selber zu konfigurieren. Für alle Bereiche der Handelsorganisation gilt aber: Man muss die Möglichkeiten und Arbeitsweisen von IT verstehen, um gut zu kooperieren und das vorhandene Potenzial auszuschöpfen. Das Über-den-Zaun-Kippen von Spezifikation reicht nicht aus …

CE: Wie viel IT-Kompetenz brauchen Führungskräfte außerhalb der IT-Abteilung?
Ich glaube, wir sind in einem Wandlungsprozess wie in den 1970ern: Spätestens dann mussten alle Führungskräfte – auch z. B. Ingenieure – lernen, was Controlling bedeutet oder was ein EBIT ist, sonst konnte man nicht länger Manager sein. Ähnlich ist es jetzt: IT ist oder wird ein so integraler Bestandteil jedes Businessmodells, dass tieferes Verständnis hiervon unerlässlich ist – sonst kann man die Möglichkeiten und Risiken nicht abschätzen oder sitzt jedem Hype auf. Ich glaube, man muss schon verstehen, warum man eine Testumgebung braucht, wie bestimmte Technologien grundlegend funktionieren oder vielleicht sogar mal ein paar Zeilen Code geschrieben haben. Die meisten Ingenieure werden ja auch nicht anzweifeln, dass es sinnvoll gewesen ist, im Grundpraktikum einen Würfel gefeilt zu haben, weil das eben Verständnis für grundlegende Arbeitsprozesse schafft …

CE: Welche weiteren Kompetenzen brauchen aus Ihrer Sicht Führungskräfte mit Blick auf die Digitalisierung?
Change-Management. Letztendlich muss man es als Manager schaffen, bei Mitarbeitern die Neugier auf dieses spannende Themenfeld zu wecken.

CE: Sie haben in internationalen Energiekonzernen ebenso gearbeitet wie im Stadtwerk. Unterscheiden sich die Anforderungen an Führungskräfte in Bezug auf die Digitalisierung in Abhängigkeit von der Unternehmensgröße?
Digitalisierung ist letztendlich ein Gleichmacher, der komplexe und hochskalierbare Technologie und Konzepte für alle verfügbar macht – häufig auch für sehr überschaubare Kosten. Gerade für kleinere Unternehmen bietet das das Potenzial, zu Großen aufzuschließen, z. B. auch durch geschickte Wahl von Partnern. Das heißt aber umgekehrt auch, dass man sich unabhängig von der Unternehmensgröße mit Digitalisierung beschäftigen muss, wenn man im Geschäft bleiben möchte.

CE: Nach unserer Umfrage unter BDEW-Mitgliedern sind nur 5 % der Unternehmen vollkommen zufrieden damit, wie schnell sie bei der Digitalisierung vorankommen. Warum tun sich die Unternehmen so schwer mit der Digitalisierung?
Das Problem sind häufig historisch gewachsene IT- und Prozesslandschaften, die man nicht einfach ablösen kann. Zum anderen sind mangelnde IT-Kompetenz auf Geschäftsseite und häufig mangelndes Businessverständnis auf IT-Seite ein häufiges Hindernis. Auch bestehende Organisationsformen sind häufig ein Hindernis. Und dann braucht man natürlich auch noch Zeit und Budget …

CE: Was müsste sich aus Ihrer Sicht ändern?
Zunächst einmal muss man dafür sorgen, dass IT und Business enger zusammenwachsen und sich gegenseitig verstehen – da hilft manchmal auch einfach schon räumliche Nähe. An die historisch gewachsenen Landschaften muss man ran, so oder so. Hier ist häufig ein Greenfield-Ansatz schneller und kostengünstiger, als das nächste Pflaster auf den bestehenden Aufsatz zu kleben. Auch bestehende Organisationsformen sind zu überdenken, in welchen Fällen z. B. auf IT-Seite eine Plan-Build-Run-Organisation heute noch geeignet ist oder ob man lieber in einem DevOps-Ansatz arbeitet, ist sicher zu überprüfen.

CE: Würden viele Probleme nicht schlicht damit gelöst, wenn man damit anfinge, nur noch agil zu arbeiten?
Nicht immer ist die blinde Anwendung von unverstandenen Konzepten mit Buzzword-Charakter wirklich hilfreich. Wenn wir unter „agil“ neue Zusammenarbeitsmethoden mit Sinngebung, Eigenverantwortung und respektvollem Umgang in einer wissensbasierten Arbeitswelt verstehen, werden dadurch viele Probleme gelöst. Wenn man allerdings darunter die Anwendung von Praktiken und Methoden der agilen Softwareentwicklung versteht, dann sieht das Bild differenzierter aus. Eine schrittweise wachsende Kundenplattform sollte man selbstverständlich agil entwickeln. Aber nicht jedes Projekt – wie z. B. Migrationsprojekte – funktionieren mit agilem Projektmanagement am besten. Und agil heißt auch nicht zwangsläufig immer schneller...

CE: Welche Rolle sollte die IT-Abteilung im Unternehmen idealerweise einnehmen?
Für mich sind Fachabteilungen und IT „Partners in Business“, die gleichberechtigt, aber aus unterschiedlicher Perspektive das Geschäft vorantreiben sollen. Natürlich kommt ein Großteil von neuen Geschäftsideen evolutionär aus altem Geschäft, aber richtig spannend wird es häufig, wenn man mit einer neuen Technologie, ohne jetzt den konkreten Anwendungszweck zu kennen, in Richtung des Altgeschäftes denkt. Weiterhin sind eine Reihe modernerer Arbeitsweisen wie z. B. agile schon länger in der IT etabliert – das sollte eine IT in die Arbeitsbeziehung einbringen, ohne ihrerseits zu dogmatisch zu sein.

Ihr Ansprechpartner für Interviews und Energiethemen
Ron-Arne Sydow
Ron-Arne Sydow
Geschäftsführer

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